"Jetzt mal Realtalk“ auf der YouMeCon | kompakt 2025 in Dresden

Wir müssen über Pressefreiheit reden. Wie frei können Journalist*innen angesichts wirtschaftlichen Drucks, digitalen Algorithmen, wachsender Polarisierung und der eigenen Haltung heute berichten? Als ein Grundpfeiler der Demokratie, muss Pressefreiheit geschützt werden – doch wessen Aufgabe ist das und was kann jede*r Einzelne tun, um die Pressefreiheit zu stärken?
Vom 7. bis 9. November trafen junge Medieninteressierte auf der YouMeCon | kompakt in Dresden auf erfahrene Journalist*innen und Medienexpert*innen. Unter dem Motto „Jetzt mal Realtalk: Pressefreiheit“ gingen die rund 60 Nachwuchsjournalist*innen der Spur nach, wie es eigentlich um die Pressefreiheit in Deutschland steht. Dazu boten Workshops und Diskussionsrunden einen Raum zum Ausprobieren, Hinterfragen und Netzwerken.

Im Verlauf der drei Veranstaltungstage wurde deutlich: Pressefreiheit ist nicht selbstverständlich. Doch was kann und muss getan werden, um sie zu stärken? Diese Frage stellte sich immer wieder. Mit den Antworten und dem Input der anwesenden Medienexpert*innen und Journalist*innen versuchten die Teilnehmenden, eigene Ansätze zu finden. Wie verschieden die Antworten sein können, lassen die vielfältigen Programmpunkte der YouMeCon | kompakt und die breitgefächerten Berufsfelder und Hintergründe der Referent*innen erahnen.

Praxis-Input auf den Medientouren

„Ohne Pressefreiheit könnten wir unsere Arbeit nicht machen, sie ist die Grundlage all dessen, was wir hier tun“, sagt MDR-Botschafter Nico Nickel auf der Medientour durchs Landesstudio Sachsen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und leitet damit in das Thema des YouMeCon-Wochenendes ein.
Die Teilnehmer*innen konnten sich am Freitagnachmittag für eine von drei Medientouren entscheiden. In den Produktionsräumen des MDR lernten sie, wie lokale Fernsehbeiträge entstehen und Themen ausgewählt werden. Bei der Sächsischen Zeitung (SZ) tauschten sich die jungen Nachwuchsjournalist*innen mit erfahrenen Redakteur*innen aus. Zur Relevanz des Lokaljournalismus und zum Zeitungssterben sagt Max Helm, Mitglied der Chefredaktion der SZ: „Gerade in ländlichen Regionen sind Lokalzeitungen oft die einzigen, die noch da sind, um Leute zu informieren und über lokale Ereignisse zu berichten. Das muss geschützt werden.“ Freie und unabhängige Berichterstattung ist keine Selbstverständlichkeit. Wie die Staatssicherheit in der DDR die Meinungsäußerung und Berichterstattung überwachte, einschränkte und in diese eingriff, erfuhren die Teilnehmer*innen auf der Medientour durch das Dresdner Stasi-Unterlagen-Archiv. Hier bekamen sie Einblicke hinter die Türen, hinter denen Geheimnisse liegen, die jahrelang niemand lesen durfte.

Grenzen journalistischer Freiheit im Redaktionsalltag – Das Kick-Off Panel

In der heutigen Zeit, in der jede*r publizieren kann, ist das Thema Pressefreiheit präsenter denn je. Auf dem Auftakt-Panel am Freitagabend diskutierten Philipp Blanke (Deutscher Journalistenverband), Maren Schuster (Medienwissenschaftlerin MLU Halle), Luisa Zenker (Sächsische Zeitung) und Anne Lena Mösken (stellv. Chefredakteurin der Freien Presse) aktuelle Spannungsfelder des Journalismus. Im Zentrum stand dabei die Lage der Pressefreiheit: Wie können Journalist*innen und Redaktionen dem Anspruch gerecht werden, unter wirtschaftlichem Druck, digitalen Algorithmen, wachsender Polarisierung, und der eigenen Haltung, unabhängig zu berichten? Unter der Moderation von Dennis Beltchikov beleuchteten die Gäste im rosa Hörsaal des Hygienemuseums ihre unterschiedlichen Perspektiven zu verschiedenen Thesen, denen auch die Teilnehmenden im Publikum mit farbigen Meinungskärtchen zustimmen konnten. Abschließend beantworteten die vier Referent*innen auch Publikumsfragen, beispielsweise zum tatsächlichen Nutzen journalistischer Faktenchecks in Live-Sendungen, aber auch dazu, wie frei Journalist*innen arbeiten und wie objektiv jede*r Einzelne berichten kann. „Jeder hat eine Brille auf, durch die er die Welt sieht und durch die er Dinge erklärt“, veranschaulicht Maren Schuster die Erklärung der subjektiven Komponenten, die in eigenen journalistischen Arbeiten nie vollständig abgelegt werden könnten. Auch die Aufgabe des Journalismus zwischen Auftrag und Aktivismus wurde auf der Bühne diskutiert. Was aber gefährdet Pressefreiheit in diesen Zeiten am meisten und wie kann man sie wieder stärken? Die größte Gefahr für die Pressefreiheit“, sagt Philipp Blanke, „ist, sie für selbstverständlich zu erachten.“ Als ein Grundpfeiler der Demokratie, sei Pressefreiheit ein Gut, das jeden Tag neu verteidigt werden müsse.

Pflichten und Chancen journalistischer Arbeit – Die Intensiv- und Kompaktworkshops

Dass auf der YouMeCon | kompakt nicht nur über Pressefreiheit gesprochen, sondern das Thema praktisch greifbar gemacht wurde, zeigten vor allem die Intensivworkshops am Samstag.
Im „Crashkurs investigative Recherche“ teilte Eva Hoffmann ihre Erfahrungen als freie Investigativjournalistin. Im Workshop lernten die Teilnehmenden, Recherchetools, den Umgang mit Quellen und das Sichern von Material bis zur Umsetzung, Finanzierung und Verbreitung aufwendiger investigativer Geschichten kennen und konnten an eigenen investigativen Recherchen arbeiten. „Für mich persönlich war das eine gute Bestätigung, dass es als junge journalistische Person wichtig ist, diese Arbeit zu machen und dass man damit tatsächlich etwas verändern und bewegen kann, indem man zum Beispiel Missstände aufdeckt“, sagt einer der Teilnehmenden am Ende des Workshops. Eva Hoffmann, die Teil des Selbstlaut-Kollektivs, ein Zusammenschluss aus freien Investigativ-Journalist*innen, ist, gibt den Nachwuchsjournalist*innen mit auf den Weg, sich untereinander zu vernetzen und zusammen zu schließen.

Neugierig zu bleiben und Fragen zu stellen, rät Katrin Funke allen Anwesenden. Sie selbst arbeitet seit über 25 Jahren als Journalistin und Reporterin beim Fernsehen. In ihrem Workshop „Von der Kunst zu fragen – das Interview“ gab sie den Teilnehmenden Techniken des Fragenstellens mit an die Hand, die diese sofort umsetzen konnten. Mit dem Lokalpolitiker Matthias Berger wurde der Workshopraum zu einer Pressekonferenz, auf der die jungen Medieninteressierten die Interviews führten. Spontan auf ein Thema einzugehen und gute Fragen zu stellen, holte viele der Teilnehmer*innen aus ihrer Komfortzone raus. Mit Katrin Funkes Tipps und Tricks gelang es aber, aus den Interviewsituationen inhaltsreiche Antworten zu erzielen und sicherer im Fragenstellen genauso wie im Zuhören zu werden.

Unter dem Titel „Pressefreiheit – mehr als eine Story“ begann der dritte Workshop am Samstagmorgen mit der freien Journalistin Laura Meng und einer Sonderführung zum Thema „Freiheit“ im Hygienemuseum. Auf die Frage, was Freiheit heute bedeutet und wie in Bürgerrechtsbewegungen dafür gekämpft wurde, bot die Ausstellung Raum für Antworten und eine anschließende Diskussionsrunde. Über die Bildungsinitiative Spreuweizen lernten die Workshopteilnehmenden am Nachmittag den afghanischen Exiljournalisten Mohammad Zaker Noory kennen, der erlebt hat, was es für die Gesellschaft und die eigene Arbeit bedeutet, wenn Medienschaffenden Verfolgung und Verhaftung droht. „Es war besonders interessant, die persönliche Geschichte zu hören und den Menschen dahinter kennenlernen zu dürfen“, sagt eine der Teilnehmerinnen. Über die Pressefreiheitsorganisation Reporter ohne Grenzen wurde Mohammad Zaker Noory nach der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 eine sichere Ausreise nach Deutschland ermöglicht. Wie Nachwuchsjournalist*innen mit Nachrichtenmüdigkeit und sinkendem Vertrauen in die Medien umgehen können und warum wir trotzdem oder gerade deswegen Journalist*innen brauchen, erzählte Lina Eikelmann, freie Journalistin und Producerin, zum Abschluss des Workshops.

Auch die Kompaktworkshops am Sonntagvormittag boten den Teilnehmer*innen eine breite thematische Vielfalt, um Gelerntes zu vertiefen und sich an Neues heranzuwagen. Wie KI-generierte Bilder erkannt werden können und welche Rolle Fotojournalismus heute spielt, zeigte Sven Ehmann von der laif foundation in seinem Workshop „Zeigen, was ist – Fotojournalismus“ in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Teilnehmenden gingen der Frage nach, ob sich die Bilder, die bislang im Fotojournalismus gemacht wurden, überhaupt noch für die Kanäle, die heute wichtig sind, eignen. Gemeinsam erarbeiteten sie die Grundlagen des Fotojournalismus und diskutierten, welchen Wandel es bräuchte, um mit aktuellen Herausforderungen umzugehen. Um die Gefahren von Cyberbedrohungen ging es in dem Workshop von Joanna Rusin-Rohrig und Leonie Wendler von Nord Security. Unter dem Titel „Digital? Sicher! So schützt du dich vor Cybersicherheits-Bedrohungen“ zeigten die beiden Cybersicherheitsexpert*innen den Teilnehmenden, dass schon kleine Veränderungen und praktischen Digital-Tools die eigene Online-Sicherheit stärken können. Wie die Sicherheit von Journalist*innen bei Demonstrationen und Besetzungen erhöht werden kann, thematisierten die Referent*innen Renate Gensch und Klemens Köhler im Workshop „Schutz von Journalist*innen bei Demos, Besetzungen und im Netz“. Mit den Teilnehmer*innen sprachen sie über verschiedene Anlaufstellen, um sich als Journalist*in gegen Angriffe auf und nach Demonstrationen zu schützen. Einen Fokus auf freie Meinungsäußerung im Netz und Grenzen digitaler Öffentlichkeit legte auch Marwin Klages. In seinem Social-Media-Workshop „Algorithmus trifft Meinung – Wie wir unsere Stimmen online nutzen“ erklärt der Chefredakteur vom Kanal jung genug, wie Algorithmen auf Social Media die Wahrnehmung beeinflussen, aber auch, wie junge Menschen Online-Plattformen nutzen können, um ihre Meinung zu zeigen, Haltung zu zeigen und sichtbar zu werden.

Ver.Netzt – vielfältige Einstiegsmöglichkeiten in die Medienwelt

Auf dem interaktiven Networking-Format Ver.Netzt präsentierten sich verschiedene Akteur*innen aus der Medienwelt, um den Nachwuchsjournalist*innen spannende Projekte und berufliche Möglichkeiten vorzustellen und ihre Fragen zu beantworten. Mit dabei waren: Die taz Pantherstiftung, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union von ver.di (DJU), die Jugendredaktion jung genug, die Jugendpresse Sachsen, das VETO-Magazin, die SRH University und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Die Veranstaltung bot Raum zum Informieren, Austauschen und Vernetzen.

Nachgefragt – Wie geht es mit dem Journalismus weiter?

Am Sonntag hatten die Teilnehmer*innen im Q&A noch einmal die Möglichkeit, bei Vertreter*innen verschiedener Organisationen nachzufragen. Katharina Weiß von Reporter ohne Grenzen gab den jungen Medieninteressierten Einblicke in die Pressefreiheitsorganisation, die weltweit Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit öffentlichkeitswirksam dokumentiert und sich für mehr Sicherheit und besseren Schutz von Journalist*innen einsetzt. Dass Freiheit und Sicherheit als Begriffspaar zusammen gehören, sagt auch Martin Heinemann. Als Kommunikationsleiter des Bundesnachrichtendientes (BND) beantwortete er in der zweiten Q&A-Runde Fragen der Teilnehmer*innen zur geheimdienstlichen Arbeit des BND. Als Auslandsnachrichtendienst hat dieser die Aufgabe, Nachrichten aus dem Ausland zu beschaffen, die für die zivile, militärische und technische Sicherheit Deutschlands entscheidend sind.

Seinen Ausklang fand das YouMeCon-Wochenende im Zukunftslunch. In lockerer Runde konnten sich die Teilnehmenden abschließend über die letzten Tage austauschen. Was bleibt, sind neben dem erlernten journalistischen Handwerkszeug, vor allem die neuen geknüpften Kontakte und Verbindungen untereinander.

Auf der YouMeCon | kompakt 2025 in Dresden wurde deutlich: Pressefreiheit ist kein Selbstläufer – sie ist fragil, vielschichtig und braucht aktives Engagement. Das dreitägige Programm bot einen Raum, mit erfahrenen Journalist*innen und Medienexpert*innen in den Austausch zu kommen. Ob auf der Paneldiskussion, den Medientouren oder in den Workshops: Die Teilnehmer*innen erlebten, wie Journalismus heute funktioniert – und wie er funktionieren kann. Mit Antworten auf die Frage, wie jede*r Einzelne die Pressefreiheit und journalistische Unabhängigkeit stärken kann, wurde die YouMeCon | kompakt zu einem wichtigen Impulsgeber für junge Nachwuchsjournalist*innen.

Antonia Bischoff